ERP - mit freundlichen Grüßen
Ein ERP-System, das Spaß macht? Warum eigentlich nicht, findet Karl Gerber, Geschäftsführer bei Step Ahead Software, und erklärt im Interview, wie man im Dschungel aus immer mehr Business-IT-Kürzeln das Wesentliche im Blick behält.
„Allein die Abkürzungen aus dem Bereich der Unternehmenssoftware würden reichen, um den Song MFG von Fanta 4 mit doppelter Laufzeit neu zu interpretieren", stellt Karl Gerber von Step Ahead Software fest.
ITD: Herr Gerber, die meisten Unternehmen haben heute bereits ein ERP-System in Betrieb – die Frage ist, ob die bestehende Lösung noch den Anforderungen gerecht wird. Wo stößt etwa ein zehn Jahre altes ERP-System an seine Grenzen?
Karl Gerber: Es ist egal, wie alt ein ERP-System ist. Die Frage ist vielmehr, wie sich der Besitzer in den letzten zehn Jahren darum gekümmert hat und ob er bereit war, Geld zu investieren, um es zu modernisieren und auszubauen. Ein einfaches Beispiel: Wenn der Mittelklasse-Wagen erste Kratzer, Dellen oder Steinschläge hat, wird schnell über ein neues Fahrzeug nachgedacht. Bei einem ERP-System aber, welches in allen Belangen eines Unternehmens helfen kann, sparen Unternehmen und strecken Investitionen. Hinzu kommt, dass Firmen in vielen Fällen mit klassischen Themen wie Warenwirtschaft und Buchhaltung starten und alle anderen Funktionen auf die lange Bank schieben. Die Unternehmen haben zwar ein ERP-System, nutzen es aber nur zu Bruchteilen. Grenzen werden bereits vom Anwender bzw. Kunden selbst festgelegt.
ITD: Welches sind Funktionalitäten, die ein ERP-System anno 2020 auf jeden Fall mitbringen sollte?
Gerber: Das Wichtigste ist: Es sollte Spaß machen, damit zu arbeiten. Der ewige Drang zur Perfektion lenkt oft vom Wesentlichen ab. Ein ERP-System ist immer nur so gut wie die Daten, die es beinhaltet. Wenn Anwender gerne mit einem System arbeiten, pflegen sie die Daten auch ordentlich und nur in diesem System. Zweiter wichtiger Punkt: Das ERP sollte die Kommunikation zwischen allen Beteiligten so einfach, flexibel und schnell wie möglich machen. Egal, wie sehr wir digitalisieren, es sind am Ende die Menschen, mit denen wir unsere Geschäfte machen.
Klar ist, dass ein großer Teil eines ERP-Systems B2B und B2C ist. Dennoch ist die Komponente „Mensch zu Mensch“ nicht zu unterschätzen. Diese Entwicklung beobachten wir seit Jahren. Viele Webshops zum Beispiel arbeiten mit Chatbots für Standardantworten. Ohne dass hinter Chat-Funktionen Menschen stehen und Fragen individuell beantworten, funktioniert es nicht. Ein modernes ERP-System muss Kommunikation in alle Richtungen fördern und unterstützen und den Anwendern Spaß machen, egal wo, wann und mit welchem Endgerät.
ITD: Welche Vorteile hat ein Cloud-basiertes ERP-System gegenüber einer On-Premises-Lösung?
Gerber: Diese Frage hat sich in den letzten Monaten zu meiner Lieblingsfrage entwickelt und ist für mich schon fast eine Fangfrage. Denn: Des einen Vorteil ist des anderen Nachteil. Ich möchte die Frage aber anders stellen: „Was ist der Unterschied eines Cloud-basierten ERP-Systems gegenüber einer On-Premises-Lösung?“ In der Cloud hat sich eine komplett andere Form der Entwicklung etabliert. Es werden sehr kurze Innovationszyklen angestrebt. Viele Entwickler schaffen sehr schnell Funktionen aber leider auch Bugs und liefern sie an die Anwender aus. Der Vorteil dabei ist: Fehler, die sich bei der Einführung neuer, freigegebener Funktionen in der praktischen Anwendung bemerkbar machen, können in der Cloud schneller behoben werden.
Nach der ersten Fehlermeldung eines Anwenders wird schnell klar, woher das Problem stammt. Doch es bleibt bei einem kurzen Schrecken: Die neue Funktion wird zurückgezogen oder überarbeitet und alles läuft wieder. Bei On-Premises ist es anders: Viele kennen es, wenn ein- bis zweimal im Jahr das große Release kommt, mit hunderten von Funktionen und vielen Verbesserungen. Aber wehe, es funktioniert etwas nicht, dann kann es teilweise lange dauern, bis Abhilfe geschaffen wird.
Als Hersteller übernehmen wir die volle Verantwortung für den Betrieb der Software in der Cloud. Bei unseren Kunden führt das zu geringeren Investitionen in die IT-Infrastruktur und setzt nicht mehr voraus, dass Kunden in die Steps-Lösung tief eingearbeitet sind.
ITD: Die Vorteile von Cloud-Lösungen sind zahlreich – doch gelten seit letztem Jahr die EU-DSGVO einerseits, der US-CLOUD Act andererseits. Wie stellen Anwender sicher, dass ihr Cloud-basiertes ERP tatsächlich DSGVO-konform hinsichtlich personenbezogener Daten ist?
Gerber: Ich persönlich bin davon überzeugt, dass aktuell kein kleines oder mittelständiges Unternehmen mehr dazu in der Lage ist, allen Anforderungen gerecht zu werden. Daher haben wir uns strategisch entschieden, unsere Systeme auf der Microsoft-Azure-Plattform laufen zu lassen. Microsoft als Partner erfüllt alle Anforderungen, die weltweit gestellt werden. Wir profitieren ganz klar von diesen Zertifizierungen und können unseren Kunden eine konforme Infrastruktur garantieren.
ITD: Das ERP ist das zentrale Nervensystem eines Unternehmens. Wie lässt sich die Cloud-Variante vor Hackerangriffen etc. schützen?
Gerber: Microsoft hat in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass sie als Unternehmen das Thema Datenschutz und Datenklau extrem ernst nehmen. Mit dem Cyber Defense Operations Center sorgt Microsoft dafür, dass die eigenen Rechenzentren und auch die Software maximal vor Angriffen geschützt sind. Eine so hohe Sicherheit kann kaum ein Unternehmen garantieren. Wir fühlen uns, was unsere Daten und Kundendaten betrifft, in einem Azure-Rechenzentrum, das durch CDOC geschützt ist, sehr sicher.
ITD: Welche Alternativen zu einer ERP-Komplettablösung gibt es?
Gerber: Der Markt hat viele Lösungen, die für eine spezielle Herausforderung bei ganz speziellen Kunden die optimale Software liefern. Wer also immer „Best in Class“ haben möchte, der wird hier sicherlich fündig. Womöglich gibt es auch eine App, die alle diese Apps miteinander verbindet. Das ist ein Markt, den wir nicht adressieren. Wir sind ein Softwarehersteller, der Daten mit Prozessen verbindet, um hieraus den optimalen Weg für unsere Anwender zu finden. Moderne Software sollte den Menschen den Freiraum verschaffen, sich um die wesentlichen Dinge zu kümmern. Dazu gehört, gerade in unserer schnellen Welt, eben auch, miteinander zu kommunizieren.
ITD: Wann sollte dennoch über eine Komplettlösung nachgedacht werden?
Gerber: Ich kenne keinen Fall, bei dem nicht über einen Komplettlösung nachgedacht werden sollte. Damit will ich nicht sagen, dass eine Komplettlösung immer das Richtige ist. Aber das Nachdenken darüber ist immer richtig. Wir haben unsere Software modular aufgebaut. Somit entscheidet der Kunde, wie und wann er etwas einführt. Das schafft Freiräume. Wenn wir uns jedoch die Tendenzen ansehen, werden wir schnell feststellen, dass allein der Begriff ERP ein viel zu enges Korsett ist. Nicht nur wir, sondern auch unsere Marktbegleiter machen heute schon deutlich mehr als nur ERP. Die Zukunft ist mehr und mehr digital und Lösungen für KI, IoT, DMS, ECM, CRM und viele mehr spielen eine wichtige Rolle. Allein die Abkürzungen aus dem Bereich der Unternehmenssoftware würde reichen, um den Song MFG von Fanta 4 mit doppelter Laufzeit neu zu interpretieren. Was ich damit sagen will ist, dass ein flexibles und dynamisches System enorm wichtig ist. Es ist ebenso unumgänglich, daran kontinuierlich zu arbeiten und sich nicht zu kleine Ziele zu stecken, sondern groß zu denken. Ich kann nur allen empfehlen, über das große Bild mit einer Komplettlösung nachzudenken.
ITD: Was sollten moderne ERP-Systeme mitbringen, um möglichst lange technisch aktuell zu bleiben und mit zukünftigen technischen Entwicklungen „mitwachsen“ zu können?
Gerber: Ein modernes ERP-System muss so konzertiert sein, dass es sich kontinuierlich an die Geschäftsmodelle bzw. -prozesse der Unternehmen anpasst. Es muss dem Kunden helfen, seine Wertschöpfung immerwährend zu verbessern und dabei die Blindleistung zu reduzieren. Wir als ERP-Hersteller sind ein Teil der Wertschöpfung und das müssen wir uns permanent vor Augen halten. Die Kunden verlassen sich darauf, dass wir die nötige Expertise mitbringen. Dazu gehört auch, dass wir als Hersteller eine unabhängige Plattform haben, auf welcher wir die Systeme der Zukunft designen. Ein flexibles System lässt sich erweitern, verkleinern oder modifizieren. Das ist die DNA unserer Steps-Lösung.
ITD: Was raten Sie Kunden, die aktuell dabei sind, zu expandieren oder ihren Geschäftsbereich auszuweiten, aber dennoch dringend heute schon eine neue ERP-Lösung benötigen?
Gerber: Suchen sie sich einen Anbieter, der heute schon in die Zukunft investiert hat und nicht nur verspricht, dies zu tun. Leider gibt es davon nicht so viele. Denn alle wissen: Ein ERP-System wird nicht so schnell wieder ausgetauscht. Wir garantieren beispielsweise eine zukunftsfähige Lösung, indem wir ein komplett neues System mit mySTEPS entwickelt haben und dieses nun hybrid mit unseren bekannten Marken Steps, Godesys ERP und IN.ERP betreiben. Ich rate Kunden, sich ein System zu suchen, das modular ist und einen weichen Übergang von alt zu neu ermöglicht. Am wichtigsten jedoch ist es, Prozesse zu überdenken. Es ist nicht immer sinnvoll, das System an sich anzupassen. Oft ist es besser, sich dem System anzupassen.
ITD: Welches sind aus Ihrer Sicht die nächsten großen Schritte in der Weiterentwicklung von ERP-Systemen?
Gerber: Ich will die Frage mit einem kleinen Beispiel erläutern. Ich liebe es, in mySTEPS meine Termine zu planen, dabei die Route von Google Maps berechnen zu lassen, um diese dann an das Navi von meinem A4 zu senden. Das macht mein Leben leichter und auch wenn unser Entwicklungsleiter – Markus Schindler - immer sagt „Hey Karl, das ist doch nur ein kleines Gimmick“ finde ich diese kleinen Dinge so unendlich hilfreich und sexy.
Das ist ein kleines Gimmick, aber es zeigt auch schon, was die Kombination der Daten im System mit einer KI in der Cloud und ein paar Bewegungsdaten von Handys, die auf unseren Straßen unterwegs sind, bewirken kann. Die großen Schritte sind bereits getan, jetzt gilt es, diese Errungenschaften im Kleinen nutzbar zu machen. Uns geht es darum, den Anwendern zu helfen, Freiräume für die wichtigen Dinge zu schaffen und gleichzeitig Spaß bei der Nutzung zu haben.